Psychisch gesund dank App? Interview mit Prof. Dr. Charlotte Köhler zur Gründung des Netzwerkes co-minded

Digitale Lösungen für Fragen der psychischen Gesundheit aus einer globalen Perspektive denken – mit diesem Ziel haben sich Forschende im Netzwerk co-minded zusammengefunden. Eine der Gründerinnen ist Prof. Dr. Charlotte Köhler, Inhaberin der Viadrina-Professur für Business Analytics. Sie hat den Auftaktworkshop des Verbundes gemeinsam mit Forschenden aus Bonn, Berlin, Freiburg und Mannheim im April 2024 an der Viadrina organisiert. Hier spricht sie über ihr Interesse als Wirtschaftswissenschaftlerin an dem Thema und die Herausforderungen der interdisziplinären Arbeit.

Prof. Köhler, was ist der Gedanke hinter Ihrem Netzwerk co-minded?

Gesundheit global zu denken ist ein sehr komplexes Feld, in dem es sich lohnt, genauer auf spezifische Themen zu gucken. Wir beschäftigen uns gezielt mit psychischer und digitaler Gesundheit. Die Idee ist es, durch digitale Lösungen Versorgungslücken zu schließen, barriereärmere und günstigere Versorgung anzubieten und Erkenntnisse über Landes- und Kulturgrenzen hinweg zugänglich zu machen. Dieser komplexe Ansatz erfordert mehr als nur eine gesundheitsfördernde Lösung. Damit eine solche Lösung auch wirklich bei den Menschen ankommt, braucht es neben dem medizinischen beziehungsweise psychotherapeutischen Wissen auch ein Verständnis des kulturellen, rechtlichen und technischen Kontextes. Das Teilen des jeweiligen Wissens in einer Kooperation ist Ziel des co-minded-Netzwerkes. Die Auswertung und der Umgang mit den hierbei erfassten Daten – sensiblen Gesundheitsdaten – ist meine größte Motivation für diese Kooperation.

Wie kann digitale Behandlung konkret aussehen?

In Deutschland gibt es beispielsweise Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Bereich verschiedener körperlicher und psychischer Erkrankungen. Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen können auf Rezept Apps und Webanwendungen verschreiben, beispielsweise mit Übungen, die man zwischen zwei Arztterminen macht. Zusätzlich gibt es Wearables wie Smartwatches. 40 Prozent der Deutschen haben so ein Monitoring Tool am Handgelenk, das unter anderem den Schlaf und die Herzfrequenz auswerten kann. Eine Ärztin kann so sehen, wie es ihrem Patienten geht, ohne ihn direkt vor sich zu haben. Mit den Aufzeichnungen der Smartwatches – das zeigen viele Publikationen – lassen sich zum Beispiel Depressionen erkennen. In einem Projekt untersuchen wir, wie sie zur Rückfallerkennung bei Schizophrenie genutzt werden können. Was da am Handgelenk gesammelt wird, sind die detailliertesten und ungeschütztesten Gesundheitsdaten, die wir haben. Darin liegt viel Potenzial und viel Risiko. Über diese digitalen Insights müsste mehr aufgeklärt werden, wie bei Medikamenten über die Nebenwirkungen.

Geht es Ihnen als Wirtschaftswissenschaftlerin bei diesem Thema vor allem ums Sparen?

Natürlich ist die Hoffnung, dass digitale Tools Nutzen bringen. Die wichtige Frage dabei ist: Wie bewertet man diesen Nutzen? Da soll es nicht nur um Euro-Zeichen gehen, sondern darum, wie viel besser es den Patientinnen und Patienten geht. Wie gut müssen wir beispielsweise eine Erkrankung vorhersagen können, um dieser Erkrankung beim Patienten vorzubeugen und damit auch Geld zu sparen? Von Forschungsseite ist es wichtig zu zeigen: Zur Beantwortung der Frage, ob sich etwas lohnt, gehört mehr, als kurzfristig auf die Abrechnung zu schauen. Es ist nicht leicht, alle Kostenfaktoren von Krankenhaustagen und Medikamenten bis zum Zusammenspiel mit weiteren Erkrankungen und den Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt im langfristigen Verlauf zu berücksichtigen.

Die allermeisten Teilnehmenden am Auftakt-Workshop an der Viadrina kamen aus der Medizin und Psychologie, hinzu kam vereinzelt Know-how aus der Wirtschaft und der Technik. Wie funktioniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit angesichts der sehr unterschiedlichen Fachgebiete?

Die größte Herausforderung ist es zu verstehen, von wo die anderen kommen und eine gemeinsame Basissprache zu entwickeln. Ich habe ganz bewusst dafür an die Viadrina eingeladen, auch um aus den medizinischen Einrichtungen rauszukommen. Es wurde deutlich, dass wir im Rahmen unserer Forschung an unterschiedlichen Kriterien bewertet werden, zum Beispiel bei der Frage, was veröffentlichungswürdig ist, aber auch wie unsere Arbeitssettings aussehen. Einige Mitglieder aus dem medizinischen Bereich arbeiten nebenbei noch zu 50 Prozent in einer Klinik. Für diese interdisziplinäre Arbeit in ihrer Komplexität wären viel höhere Förderungen nötig.

Interview: Frauke Adesiyan
Fotos: Heide Fest; co-minded

Hintergrund
Das Netzwerk co-minded wurde von Mitgliedern der German Alliance for Global Health Research (GLOHRA) initiiert. Es möchte eine zentrale Anlaufstelle für den Dialog innerhalb der Forschungsgemeinschaft über die komplexen Zusammenhänge zwischen psychischer Gesundheit, Digitalisierung und globalen Perspektiven schaffen. Die vor allem in Deutschland verankerte, forschungsorientierte Gemeinschaft hat sich als Ziel gesetzt, kollektives Wissen zu fördern, den Austausch von Erkenntnissen voranzutreiben und den Einsatz bewährter Lösungen anzuregen.

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